Seitensprung - eine Verletzung
-Heute geht es um den Seitensprung. Dazu bewegt hat mich das Buch des deutschen systemischen Paar- und Sexualtherapeuten U. Clement (Wenn Liebe fremd geht). In einem Brigitte-Interview spricht er von Respekt beim Seitensprung. Natürlich ist das ein Widerspruch, denn der/die SeitenspringerIn hat sich ja bereits unfair verhalten und keinen Respekt gezeigt. Gibt es respektvollen Treuebruch?
Ein Seitensprung wird ja als Verletzung erlebt, weil Intimität nach außen (hin zu einem Dritten) geöffnet wird. Man kann auch sagen, ein emotionaler "Vertrag" wird gebrochen. Weil er meist verheimlicht wird, taucht die Frage auf, ob das nun ein "schlechtes oder gutes Geheimnis" ist. Und darf man es leugnen? Ulrich Clement meint dazu: [...] " Man darf das [Leugnen], wenn man folgendes Verständnis hat:
Ich habe ein Recht auf ein Leben außerhalb der Paarbeziehung. (U. Clement)
Ich möchte es kurz diskutieren - wie weit geht das Recht auf dieses Leben außerhalb: Zeit für sich- Ja, Hobbies-Ja, eigener Freundeskreis-Ja, Reisen alleine - Ja, aber..., Wo ziehen Sie geschätzte LeserInnen für sich/ Ihre PartnerIn die Grenze? Wie finden Sie das Eigenleben des Partners? Haben Sie auch eines bzw. läßt die Organisation der Familie auch eines zu? Wie ist da Ihre Rollenaufteilung gestaltet?
Entscheidend erscheint mir, wie weit das Eigenleben der Partner kommunizierbar ist und kommuniziert wird. Wenn da eine heimliche Parallelwelt entsteht (es muß noch kein Betrug vorherrschen), dann paßt es für mich nicht. Die Frage ist, ob die individuellen Erfahrungen wieder in die gemeinsame Beziehung "hereingespielt" werden können und wollen. An sich sehe ich das jeweilige Eigenleben als einen Schatz und eine wichtige Energiequelle für die Partnerschaft an. Im Eigenleben zeigen sich unsere Unterschiedlichkeiten.
Wir sind (und bleiben) Individuen, die unterschiedlich sind. Es gehört zu DEN schmerzhaften Erfahrungen in fortgeschrittenen Beziehungen: Wir erleben uns als unterschiedlich und wir haben so wenig gemeinsam. Da kann doch etwas nicht passen. (?)
Die Sache mit dem Unterschied geht nur mit Liebe. (M.Geiger)
Mag ich meine/deine Unterschiedlichkeit - mögen wir uns so viel, dass wir die Unterschiede gut aushalten - ja sogar schätzen können? Dazu stellen Sie sich am besten eine Art Waage vor. In der einen Waagschale die Unterschiedlichkeiten - in der anderen das Verbindende. Das Nicht-Aushalten der Unterschiede hängt oft damit zusammen, dass für das Verbindende zu lange zu wenig getan wurde. Ist doch klar, dass die Beziehung dann aus dem Gleichgewicht gerät. Das Verbindende ist aber kein Gabe, die von oben herunterfällt oder uns im Schlaf eingegeben wird. Die Sexualität steht uns zwar dabei hilfreich zur Seite, doch das reicht nicht aus. Beziehung (das Verbindende) will gepflegt und genährt werden. Sonst geraten die Unterschiedlichkeiten in den Fokus.
Der amerikanische Sexualtherapeut David Schnarch spricht davon, dass einem Seitensprung längst eine Phase des Betruges vorangeht. Quasi als Vorbote. Dabei definiert er Betrug nicht als geistiges Untreuwerden (Sex mit anderen in der Phantasie) sondern er meint, wenn wir der/dem PartnerIn wichtige Gefühle vorenthalten, erlebte Unterschiedlichkeiten nicht ansprechen, Bedürfnisse verschweigen, dann werden wir bereits untreu. Uns selbst und dem Partner gegenüber.
Was empfunden wird gehört "auf den Tisch" der Beziehung - Also ab in Ihre Beziehungsküche und nachsehen was da so alles am Kochen ist. (M.Geiger)
Nur so kennt sich der/die andere aus, kann sich was dazu überlegen, auf uns eingehen oder widersprechen. Wir werden selbst einschätzbar und treiben die gemeinsame Entwicklung voran. Nicht im Anstauen und Verschweigen ... und letztlich im Ausbrechen, in dem wir uns das Fehlende von außen holen. Fairness und Treue beginnen also viel früher.
Wenn ES dann passiert ist (man könnte sagen: wenn sich eineR für diese Variante entschieden hat) dann beginnt eine anstrengende Phase in der Beziehung. Die Verletzung braucht Zeit zum Verheilen, bis dahin herrschen Verwirrung | Enttäuschung | Hilflosigkeit. Wieviel muß erzählt werden, wie fällt die "Strafe" für den/die Betrügenden aus? Vor allem aber wo kommt wieder Vertrauen her? Wie entscheiden sich die Partner mit diesem neuen Wissensstand? Was macht der Betrug mit dem Selbstbild (beider!)? Wie stehen die Chancen für beide?
Die Frage, ob Sie Ihren Seitensprung offenlegen sollten, müssen Sie selbst beantworten. Schieben Sie dabei nicht die Verantwortung an den/die Betrogene ab (in dem Sie die Spuren so legen, dass er/sie draufkommen muss. Wenn Sie es bei sich behalten können, weil es einmalig war und ein klares Ende besteht UND Sie die Erfahrungen daraus positiv in Ihre Beziehung einbringen können (Liebe erneuern), dann ersparen Sie dem/der Betrogenen die Verletzung. Und tragen die Last alleine. Nehmen Sie sich Unterstützung für diesen Klärungsvorgang.
Wonach ich in letzter Zeit häufig gefragt werde:
- Ist der Besuch eines chatrooms auch Betrug? JA. Wenn dort gezielt PartnerInnen angeworben werden und | oder verbale | per Videostream gemeinsame sexuelle Handlungen ausgeführt werden. Vor allem aber, wenn es den/die PartnerIn verletzt bzw. er/sie dies deutlich ablehnt.
- Ist Internet-Pornokonsum bereits eine Art Seitensprung? JA und NEIN. Erlebt wird es vom unbeteiligten Partner oft als Betrug, so wird es zum Beziehungsthema. Oft jedoch ist es nur eine Spielart der Selbstbefriedigung - allerdings mit der Möglichkeit der Gewöhnung und in übersteigerter Form der eines abhängigen Verhaltens. (der Suchtbegriff stimmt hier nicht)
Darüber was die neuen Medien mit der Sexualität und mit unseren Beziehungsgrundlagen machen ein anderes Mal.
Für sich selbst & für Ihre Liebesbeziehung wünsche ich Ihnen Achtsamkeit und einen pfleglichen Umgang
& wie immer: Alles Liebe!